Gewerbe-Quadrat  Susanne, du bist Doktorandin an der EBS und beschäftigst dich intensiv mit Innovationen in der Immobilienwirtschaft. Was erwartest du von der diesjährigen Expo Real als größte Messe der Branche?

Susanne Hügel: Ich war überrascht zu sehen, wie präsent die Themen Innovation und Digitalisierung in den einzelnen Programmpunkten sind: es gibt extrem viele Titel, die damit benannt wurden und auch das neue REIN Forum widmet sich diesen Themen. Ich bin gespannt, wieviel Innovation und Digitalisierung dann am Ende des Tages tatsächlich drin steckt. Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass des Öfteren eigentlich sehr klassische Themenstellungen mit dem Zusatz “Digitalisierung” im Titel nur aufgehübscht sind. Auf der anderen Seite bin ich gespannt zu sehen, wie das Publikum aussieht, dass sich die einzelnen Themenfelder – vor allem im Forum – anschauen wird. Bei der Future: PropTech vor kurzem in Berlin, zum Beispiel, hatte ich jede Menge Startups auf der Suche nach Investoren und neuen Kontakten erwartet. Interessanterweise waren rund 30 % der sehr gut besuchten Veranstaltung Startups und Investoren, der mengenmäßig deutlich größere Anteil waren Vertreter etablierter Unternehmen in der Beobachterrolle. Das war ein interessanter Impuls, der verdeutlicht, dass immer mehr Unternehmen in das Thema reinschnuppern. Ich gespannt, ob es hier auf der EXPO REAL 2017 auch wieder so sein wird. Wir sind hier auf einer B2B Messe, daher lässt sich nicht genau sagen, wieviele in ihrer Rolle als speziell beauftragte Innovation Manager oder auch aus eigenem persönlichen Interesse von den Themen angezogen werden. Da bin ich gespannt.

 

Gewerbe-Quadrat Für welchen Phasen im Lebenszyklus von Immobilien sind die meisten Veränderungen zu erwarten? Wo findet in Zukunft unternehmerische Wertschöpfung statt?

Susanne Hügel: Ich würde nicht sagen, dass Veränderungen auf eine bestimmte Phase des Lebenszyklus beschränkt sind. Vielmehr existiert eine Vielfalt an Technologien, die in den letzten Jahren ihre Potentiale zur Wertschöpfung und eine Marktreife entwickelt haben. Anwendungen dafür lassen sich in nahezu allen Phasen des Lebenszyklus von Immobilien finden, wo auf verschiedenen Ebenen mit neuen Technologien Wertschöpfung betrieben werden kann.

Das fängt bei den ganzen analogen Datenbeständen an, indem man diese systematisch und konsequent digitalisiert. Hieraus ergeben sich für die Unternehmen dann unmittelbare Effizienzeffekte, weil durch die Datenverfügbarkeit Analysen und Transaktionen beschleunigt und dadurch Zeit gespart werden kann. Das ist erstmal die einfachere Ebene, da bestehende Prozesse weiterentwickelt werden. Deutlich komplexer wird es, wenn basierend auf der Anwendung von neuen Technologien neue Geschäftsmodelle entwickelt werden. Themen in der Transaktion sind beispielweise die Blockchain-Technologie oder generell Algorithmen, die bessere und schnellere Analysen liefern. Zudem lassen sich im Asset- und Facility-Management allein durch die Datenverfügbarkeit viel mehr Erkenntnisse über das Nutzer- und Gebäudeverhalten gewinnen. Auch hier existieren große Wertschöpfungspotenziale z.B. im Bereich der Wartung oder des Energieverbrauchs. Im Bau existiert natürlich BIM (= Buildung Information Modeling), auch wenn BIM nicht wirklich neu ist, so sind die Möglichkeiten noch nicht voll ausgeschöpft. Aber auch mobiles Baumängelmanagement oder digitale Baudokumentation sind weitere Anwendungen, die in kleinen Etappen den Weg für neue Effizienzen ebnen und letztlich neue Wertschöpfung generieren.

 

Gewerbe-Quadrat Welche Aussagen kannst du bei der Debatte um die Digitalisierung in der Immobilienbranche nicht mehr hören?

Susanne Hügel: Was ich gerne mal hören würde, ist, was die Unternehmen tatsächlich machen. Es wird oft gesagt, dass man etwas (auch) macht, jedoch nicht konkret was. Das wundert mich. Warum die falsche Zurückhaltung, wenn es Fortschritte gibt? Vergleicht man das mit der Automobilbranche, würde sich hier ein Unternehmen hinstellen und klar kommunizieren: “Wir haben jetzt folgende neue Features, die unserem Kunden den Mehrwert xyz bringen”. Eine PR-Weisheit besagt ja, “Tue Gutes und rede darüber” und die Offenheit hilft nicht nur dem Unternehmen, sondern auch dem Kunden.

Was ich gerne mal hören würde, ist, was die Unternehmen tatsächlich machen. Es wird oft gesagt, dass man etwas (auch) macht, jedoch nicht konkret was.

Da darf sich die Mentalität in der Immobilienwirtschaft ruhig etwas verändern.

Ganz konkret ist BIM weiterhin ein spannendes Thema, auch wenn es bisher noch nicht gelungen ist die Mehrkosten gegen den Mehrwertüberzeugend darzustellen. Beispielsweise ermöglicht BIM während der Bauphase eine viel stärkere Qualitätskontrolle. Natürlich hat BIM auch seine Herausforderungen, so ist z.B. der Abgleich zwischen tatsächlich erbautem Gebäude und dem virtuellen Zwilling wichtig, damit man den Zwilling dann auch in der Bewirtschaftung gezielt einsetzen kann. Im Ausland ist BIM schon Standard, da hinkt Deutschland hinterher und wird eher früher als später nachziehen müssen.

 

Gewerbe-Quadrat Wie kann die Immobilienbranche innovativer werden? Was wären deine 3 Tipps?

Susanne Hügel: Sollte die Frage nicht lauten:

Muss die Immobilienbranche innovativer werden und wenn ja, wie?

Es gibt nämlich den sogenannten “Pro-Innovation Bias”, bei dem angenommen wird, dass jede Innovation grundsätzlich gut ist und daher von jedem Unternehmen und jeder Branche pauschal übernommen werden sollte. Daher macht es durchaus Sinn Nutzen, Notwendigkeit oder mögliche Modifikationen von Innovationen, aber  auch den richtige Zeitpunkt der Markteinführung für sich zu hinterfragen – man muss nicht immer der Frontrunner nur der Innovation wegen sein.

Statt drei Tipps habe ich drei Fragen, die sich Unternehmen einmal selbst stellen können:

  • Frage 1: Wie würde ich selber mein Geschäftsmodell angreifen? Was würde mein Hauptwettbewerber anders machen, um mir Market Shares abzunehmen?

 

  • Frage 2: Wie innovationsfähig ist mein Unternehmen eigentlich? Wie sind wir hinsichtlich (Innovations-) Strategie, Kompetenzen, Bereitschaft zur Veränderung, etc. aufgestellt?

 

  • Frage 3: Was wollen und was brauchen meine Kunden? Welche Herausforderungen können oder werden auf sie in Zukunft zu kommen?

 

Gewerbe-Quadrat Welche Technologie fasziniert dich momentan am meisten und warum? Bei welcher Technologie gibt es deiner Meinung nach zu viel Hype?

Susanne Hügel: Auf beide Fragen würde ich gerne die gleichen Antwort geben: die Datenanalyse ist ein sehr faszinierendes Thema, wird aber gleichzeitig auch zu sehr hochgeschaukelt. Allzu oft wird sofort der Begriff der Künstlichen Intelligenz eingeworfen und die KI als Allheilmittel angepriesen. Aber die KI ist nur eine Technologie von vielen, die zur Datenanalyse verwendet werden kann, und sie ist eine theorielose „Black Box“. Wie genau die KI-Algorithmen letztendlich zu ihren Entscheidungen kommen, lässt sich nämlich kaum nachvollziehen. Gerade in der empirischen Wissenschaft, wo die Datenanalyse eine zentrale Rolle spielt und theoriegeleitet erfolgt, interessiert man sich viel stärker für das „wie“ und bedient sich daher verschiedenster Analyse-Methoden. Sehr spannend ist, dass bereits Ende der 1980er / Anfang der 1990er Jahre mit KI-Algorithmen Immobilienbewertungen und Hauspreise wissenschaftlich untersucht und prognostiziert wurden.

 

Gewerbe-Quadrat Wo siehst du die größten Herausforderungen für Startups die sich in den Immobilienmarkt wagen wollen? Welche Entwicklung erwartest du für den Startup-Markt in den nächsten 10 Jahren?

Susanne Hügel: Für den Begriff „Startup“ gibt es zwar viele verschiedene Definitionen, aber die Kernelemente sind immer gleich: es handelt sich um junge Unternehmen mit geringem Startkapital und einer innovativen Geschäftsidee. Daher sind sie in erster Linie mit digitalen Geschäftsmodellen unterwegs. Gerade das geringe Startkapital ist ein echter Knackpunkt, um im großvolumigen B2B-Bereich der Immobilienwirtschaft Fuß zu fassen. Es wird spannend, inwieweit sich die heute vorhandenen Player und ihre Geschäftsmodelle in den nächsten Jahren weiterentwickeln. Aber auch, wie sich die Themen verschieben und ob es dann eher radikale oder inkrementelle Innovationen zu den heute vorhandenen geben wird.

Wer wird sich etablieren, wer wird überleben?

Das ist eine ganz entscheidende Frage, die auch viel über die Dynamiken der Immobilienwirtschaft Preis gibt.

 

Gewerbe-Quadrat Wenn du selbst ein PropTech-Startup gründen könntest, was für ein Startup würdest du gründen und warum?

Susanne Hügel: Gute Frage, ich hab so einige Ideen im Kopf und es wäre spannend, diese Ideen mal umzusetzen und auf den Prüfstein zu stellen. Dabei orientiere ich mich gar nicht an einer bestimmten Phase des Lebenszyklus oder einer bestimmten Technologie, sondern würde es von hinten aufziehen und vom Problem her denken. Welches Problem gibt es und wie kann man es lösen? Welche Prozesse erscheinen überholt und könnte man verbessern? Daraus ergibt sich dann automatisch, in welcher Phase(n) im Lebenszyklus und mit welcher Technologie man ansetzen müsste. Wenn man sich zu sehr in eine Technologie verliebt, dann verbaut man sich oft andere Ideen und Opportunitäten.

 

Gewerbe-Quadrat Vielen Dank für dieses spannende und ausführliche Interview. Wir wünschen viel Erfolg bei der Promotion und freuen uns auf weitere Berichte über Innovationen in der Immobilienwirtschaft!

 

Susanne Hügels Arbeiten zu Innovationen in der Immobilienwirtschaft sind unter folgender Webseite abrufbar: www.susanne-huegel.de

 

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