Gewerbe-Quadrat  Nicolai, du bist COO und Co-Founder von 21st Real Estate, was ist 21st Real Estate und was macht euer Unternehmen besonders?

Nicolai Wendland: Wir digitalisieren den kompletten Ankaufsprozess für institutionelle Ankäufer. Das sind Unternehmen, die auf professionelle Art und Weise Mehrfamilienhäuser und Portfolios in sämtlichen Assetklassen kaufen. Diese Firmen haben einen sehr komplexen Prozess, welcher bis zum Notartermin mehrere Monate dauern kann. Wir als 21st Real Estate haben ein komplettes digitales System geschaffen, das alle notwendigen Funktionen beinhaltet und auf Knopfdruck liefert. Als Startpunkt kann man sich einen Trichter vorstellen. Wenn Daten von einem Makler eingegeben werden, gelangen die Daten in diesen virtuellen Trichter. Dazu sind lediglich fünf Angaben – Kaufpreis, Baujahr, Adresse, Zustand, Mieterliste – notwendig. In einem Smart Data Container werden anhand unserer rund 55 Mio. Datenpunkte diese Angaben berechnet und standardisiert. Unsere Standardisierung wird dann mit der individuellen Anlagestrategie des Investors gematched. Der Investor muss nun keine 4.000 Objekte pro Monat in PDF Form sichten, sondern lediglich die relevanten, bereits vorberechneten 150 bis 200 Objekte. Das kann man sich wie ein Fließband vorstellen. Ist der Investor an einem Objekt interessiert, kann er per Knopfdruck das Objekt in den Workspace übernehmen und mit sämtlichen Parametern nun Best-Case/Worst-Case Szenarien erstellen. Im Fall eines erfolgreichen Matches beginnt in einem nächsten Schritt der automatisierte Ankaufsprozess- ein kompletter interner Workflow. Wir orchestrieren also den kompletten Ankaufsprozess, sodass die jeweils zuständigen Mitarbeiter genaue Arbeitsanforderungen erhalten und sämtliche KPIs an die Banken übermittelt werden. Am Ende steht dann noch der manuelle Notartermin.

 

Gewerbe-Quadrat: Wie definierst du die Zielgruppen eures Angebots?

Nicolai Wendland: Zur Hauptkundengruppe zählen tatsächlich professionelle Immobilien-Ankäufer. Das können Investment Advisor, oder eben die Firmen selbst sein. Im Idealfall natürlich große Unternehmen, die für ein Milliardenvolumen ankaufen. Diese Firmen müssen zurzeit sehr viele Einzelobjekte sichten, vergleichen, berechnen und Szenarien erstellen. Manuell ist das fast nicht zu leisten. Wir bieten die dafür benötigte Standardisierung. Mit unserem Excel Cross Compiler kann jedes beliebige Berechnungsmodell bei uns integriert werden. Dadurch verschwinden die Black-Box und die Angst vor dem Unbekannten: Kunden rechnen mit den ihnen bekannten Modellen. Mit dieser Methode gehen wir z.B. auch auf Banken zu, um zertifizierte Modelle zu erhalten. Als Immobilien-Ankäufer kann ich dann mein Modell gegen andere Modelle benchmarken und Abweichungen in der Berechnung feststellen. Die Banken profitieren von diesem Angebot durch die Generierung von Finanzierungsanfragen.

 

Gewerbe-Quadrat: Gerne würden wir einen Schritt zurückgehen. Woher bezieht ihr euer Datenfundament mit rund 55 Mio. Datenpunkten?

Nicolai Wendland: Ich mache das nun seit rund 14 bis 15 Jahren und habe bereits vor ca. 8 Jahren ein Startup aufgebaut, welches sich mit diesen Daten beschäftigt. In einem ersten Schritt haben wir Datenkacheln über Deutschland gelegt und diese mit allen verfügbaren Daten bespielt: Über 40 Millionen Kauf- und Mietpreise, Migrationsströme, Bildungsstrukturen, Wahlergebnisse, Grünflächen, Bars und Cafés, GFK-Daten – und noch viel mehr Datenpunkte. Per Knopfdruck erhalte ich dann einen Überblick über lokale Gegebenheiten. In einer Stadt kann ich nun zum Beispiel eine 200×200 m Kachel bestimmen, die zu den 10 % der grünsten Gebiete in Berlin zählt oder zu den 20 lebendigsten Gebieten in Frankfurt. Mittels Gravitationsmodellen können wir das in Bezug setzen. In der 21st Real Estate haben wir dieses Modell für ganz Deutschland auf rund 55 Mio. Kacheln erweitert.

 

Gewerbe-Quadrat: Übernehmt ihr Verantwortung bzw. Haftung für die bereitgestellten Daten und das Berechnungsmodell?

Nicolai Wendland: Wie bei jeder Datenfirma stellen wir die Daten nach bestem Wissen und Gewissen zur Verfügung. Wir bieten eine wissenschaftlich fundierte Berechnung. Sollten gewisse Daten an bestimmten Orten einfach nicht verfügbar sein, können wir natürlich auch nichts garantieren, sondern die bestmöglichen Ergebnisse liefern. Interessenten können den Output jedoch testen. Damit erkennen sie schnell, dass unsere Berechnungen die Realität abbilden.

 

Gewerbe-Quadrat: In einem Panel auf der Expo Real wurde die mangelnde Verfügbarkeit von Nachwuchstalenten angesprochen. Ihr benötigt sicherlich mehrere IT-Talente. Wie geht ihr damit um?

Nicolai Wendland: Talent ist teuer. Wir entwickeln alles komplett in Scala und Microservices in Form von Docker-Containern. Das ist nun mal sehr anspruchsvoll und in Berlin gibt es nur wenig Leute, die diese Technologien wirklich beherrschen. Unsere Firma hat – neben anderen – rund 10 dieser Talente, die wir über etablierte Unternehmen gewinnen konnten. Dieser Wettbewerb mit kapitalstarken Firmen ist niemals leicht. Bei IT-Talenten herrscht letztlich die Gravitationskraft, sprich: Sehr gutes Personal zieht sehr gutes Personal an. Zudem entwickeln wir, sozusagen auf der grünen Wiese, etwas Neues, was für Programmierer deutlich interessanter als ein Monolith bei etablierten Unternehmen ist. Das ist, als würde man Michelangelo bitten 5.000 Türen rot zu streichen. Das kann er zwar, Freude und Kreativität entwickelt er dabei aber nicht.

 

Gewerbe-Quadrat: Wie beurteilst du als Unternehmer den Gründungsstandort Deutschland und die Stadt Berlin?

Nicolai Wendland: Berlin ist als Gründerstandort wirklich fantastisch. Dadurch, dass Berlin eine so große Stadt ist, gibt es viele Startups und Studenten, also einen gigantischen Talentpool. Zudem sind die Preise auf einem absolut moderaten Niveau. Als neues Unternehmen kann man sich ein Büro ab 9,50 Euro/m² mieten. Das wird in München etwas schwieriger. In Berlin ist diese Kombination lokaler Gegebenheiten einzigartig für Deutschland.

 

Gewerbe-Quadrat: Wie siehst du Deutschland als Gründerstandort, auch im Vergleich zu anderen Ländern?

Nicolai Wendland: Ich glaube, wir brauchen uns hier in Deutschland nicht zu verstecken. Es gibt eine Menge an Fördergeldern, insbesondere für Firmen, die sich aus Universitäten entwickeln. Die Kapitallandschaft in Deutschland ist gerade fantastisch, besser geht es fast gar nicht. Bislang sind wir auch nicht auf Blockaden in Form von Regularien oder Vorschriften gestoßen. Im internationalen Vergleich kann ich das nicht detailliert genug beurteilen.

Wir brauchen uns hier in Deutschland nicht zu verstecken.

Gewerbe-Quadrat: Euer Unternehmen soll künftig sicherlich stark wachsen, vielleicht auch international. Nutzt ihr dahingehend auch das Ausland für die Talentsuche?

Nicolai Wendland: Derzeit sind wir noch im Aufbau unserer Plattform. Infolgedessen sind derzeit tägliche Abstimmungsprozesse notwendig. Generell kann man natürlich im Ausland eine fertige App anhand klarer Vorschriften programmieren lassen. Wir befinden uns jedoch erst im Ausbau unserer Infrastruktur. Daher müssen unsere Mitarbeiter in Berlin vor Ort sein. Zu einem späteren Zeitpunkt ändert sich das vielleicht. Dann könnten wir einzelne Bereiche outsourcen.

 

Gewerbe-Quadrat: Wenn wir die Immobilie über den gesamten Lebenszyklus betrachten, sind für euch in Zukunft auch andere Segmente interessant?

Nicolai Wendland: Wir fokussieren uns im Moment ausschließlich auf den Ankaufsprozess. Selbstverständlich existieren hier bereits viele Schnittstellen, unter anderem zum Asset Management. Im Laufe der Zeit werden wir sicherlich entsprechende Anknüpfungspunkte finden. Der Immobilienverkauf ist natürlich auch interessant. Auch Forward Deals sind für uns durchaus relevant. Man kann ja bei uns bereits ein Grundstück anlegen und einen Bebauungsplan hinterlegen.

 

Gewerbe-Quadrat: Welche Technologie fasziniert dich momentan am meisten und warum? Bei welcher Technologie gibt es deiner Meinung nach zu viel Hype?

Nicolai Wendland: Da fragen wir am besten unseren CTO. Für mich ist am wichtigsten, dass wir unseren Kunden und Kooperationspartnern sagen können: Wir haben eine Art Legoplatte gebaut, die komplett offen ist. Alle offenen Schnittstellen von Kunden können bei uns integriert werden. SAP, ERP oder CRM Systeme – alles ist mit einer Schnittstelle möglich. Dieses Bild einer Legoplatte mit einzelnen Modulen als Microservices ist für uns zentral. Zukünftig fasziniert mich am meisten, eine Möglichkeit zu schaffen, Immobilien komplett online und per Knopfdruck zu handeln. Bis dahin gibt es aber noch Einiges zu tun.

 

Gewerbe-Quadrat: Wie betrachtet ihr als Technologiefirma die Anwendung von Technologien im PropTech-Sektor? Wie steht ihr Themen der Künstlichen Intelligenz gegenüber?

Nicolai Wendland: Künstliche Intelligenz ist ein sehr spannendes Thema. In unserem Bereich muss man allerdings aufpassen, dass man es nicht überbewertet. Zunächst geht es bei uns darum, sehr große Datenmengen zu verarbeiten und daraus typische Big-Data Formen zu generieren. Über Machine-Learning wird daraus Smart-Data entwickelt, also intelligente Entscheidungsvorlagen für Investoren. Das können z.B Analysen sein, die bestimmte Objekte oder Gegenden empfehlen, die besonders gut zur Anlagestrategie des Investors passen. Aus seinen tatsächlichen Entscheidungen lernt das System und verbessert die Vorschläge kontinuierlich. Es entsteht also Data Intelligence, aus einer Art der künstlichen Intelligenz.

 

Gewerbe-Quadrat: Welche Rolle spielt dahingehend der Immobiliengutachter? Wie siehst du die Entwicklung des Marktes für Immobilienbewertung?

Nicolai Wendland: Immobiliengutachter sind für uns eine Unterstützung. Wir sind noch nicht an einem Punkt, an dem wir gar keine Gutachter mehr benötigen. Derzeit muss eben noch ein großer Teil der Arbeit manuell gemacht werden. Für den Prozess der Immobilienbewertung gibt es jedoch immer einen Teil, den man automatisieren kann. Die Datenbeschaffung und darauf aufbauend eine erste Wertindikation kann jedoch mithilfe komplexer Algorithmen und großen Datenmengen meiner Meinung nach sogar besser automatisiert als manuell stattfinden. Das ist jedoch nur ein kleiner Teil des gesamten Prozesses.

Wir sind noch nicht an einem Punkt, an dem wir gar keine Gutachter mehr benötigen.

Gewerbe-Quadrat: Welche Szenarien mit welcher Eintrittswahrscheinlichkeit erwartest du für die Immobilienbranche in Deutschland?

Nicolai Wendland: So wie vermutlich alle technisch interessierten und versierten Menschen, bin ich davon überzeugt, dass längerfristig fast alles automatisierbar ist. Wir haben in den letzten Jahren auch dank Bitcoin und der Blockchain gelernt, dass sämtliche Informationen digital abgebildet werden können. Im Immobiliensektor ist dies in Form des digitalen Zwillings ebenfalls möglich. Jedes Loch in einer Wand, jeder Heizkörper und jeder Verbrauch kann digital abgebildet werden. Auch Mieterlisten und Rechnungen können dem Verkäufer bereits digital übermittelt werden. Wenn wir jetzt noch die Lücken für digitale Berechnungen und digitale Gebäude schließen, dann gelangen wir zumindest theoretisch an einen Punkt der kompletten Automatisierung. Eine andere Fragestellung ist, ob dieser Wandel letztlich gewollt und erlaubt wird. Technisch werden wir zu 100 % in diese Richtung gehen.

 

Gewerbe-Quadrat: Welche Rolle können dabei Start-ups und Scale-ups einnehmen? Können neue Unternehmen sogar den Markt stürmen?

Nicolai Wendland: Ich glaube es existieren zwei Szenarien: Entweder Startups sind die agilen Player, die diese Technologien nutzen und die großen Unternehmen sind nicht weit genug. Große Unternehmen sind de facto zu lethargisch. Wenn es also eines dieser Startups schafft, so schnell zu skalieren, dass sie nicht geschluckt werden, könnten etablierte Player sogar ersetzt werden. Das zweite Szenario unterstellt, dass viele Firmen gezielt den Exit suchen und gekauft werden möchten. Sobald die Technologien letztlich ausgereift sind, werden etablierte Unternehmen auf den Markt treten und für großes Geld einkaufen. Jetzt herrscht also genau dieselbe Fragestellung, wie damals bei Google und Facebook. Bleiben die Startups stark genug, oder freut man sich lieber über einen schönen Exit? Das kommt insbesondere auf die Wachstumskurve der Firmen an.

 

Gewerbe-Quadrat: Könnte sich 21st Real Estate als Zugpferd dieser Firmen etablieren?

Nicolai Wendland: Niemand weiß, was die Zukunft bringt.

 

Gewerbe-Quadrat: Bietet der deutsche Markt ausreichend Wachstumspotential? Oder muss eine erfolgreiche Skalierung mithilfe weiterer europäischer Länder erfolgen?

Nicolai Wendland: Das Volumen des deutschen Marktes ist bereits sehr groß. Wenn ich aber eine wegweisende Technologie baue, dann muss diese prinzipiell in allen Ländern funktionieren. Selbstverständlich existieren unterschiedliche gesetzliche Bestimmungen, aber unsere Technologie und das Geschäftsmodell kann ich 1:1 auf viele Länder der Welt übertragen. Ich benötige lediglich starke Partner, die die regionalen Gegebenheiten in meine Technologie einbauen. Natürlich wollen wir hier Vorreiter sein.

 

Gewerbe-Quadrat: Welche Ansätze siehst du hinsichtlich der Kooperationen zwischen Startups und etablierten Unternehmen? Existiert eine tatsächliche Win-Win Situation?

Nicolai Wendland: Derzeit stehen wir alle noch am Anfang eines Wandels. Deshalb brauchen wir uns gegenseitig. Die etablierten Unternehmen brauchen junge Unternehmen für frische Ideen und Agilität. Junge Firmen benötigen den Marktzugang und Kapital über etablierte Unternehmen. Die Schnittstellen sind derzeit die Digitalisierungsmanager, die eine Übersetzungsleistung zwischen den Firmen leisten. Zudem sind spezielle Digitalisierungsbudgets notwendig. Wenn ich Veränderung in einem etablierten Unternehmen forciere, dann muss das auch etwas kosten. Das muss bereits von der Unternehmensspitze gelebt werden. Das ist jetzt unabdingbar. Wer jetzt nicht kooperiert hat entweder die gigantische Geschäftsidee und überrennt alle anderen, oder ist vielleicht zu kurzsichtig. Letztlich kann niemand in die Zukunft blicken. Es ist durchaus möglich, dass jemand mit einer zündenden Idee und der Blockchain Technologie eine knallharte Konkurrenz in wenigen Jahren darstellt. Niemand von uns weiß, ob wir in zehn Jahren die heutigen Unternehmen noch benötigen werden.

Gewerbe-Quadrat Nicolai, vielen Dank für dieses spannende Interview. Wir wünschen dir viel Erfolg und sind gespannt wohin sich 21st Real Estate entwickelt.

 

 

Das Interview wurde von Frederik Raspé & Jonas Haberkorn geführt.

Weitere Infos zu 21st Real Estate: www.21re.de

 

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