Immobilien prägen unsere Städte und damit unser Leben. Dementsprechend muss sich die Immobilienwirtschaft mit Fragen der nachhaltigen Stadtentwicklung auseinandersetzen.
Die UN prognostiziert bis zum Jahr 2050 eine Stadtbevölkerung von
6,3 Milliarden Menschen. Obwohl Metropolen nur knapp 3 % der Erdoberfläche ausmachen, verbrauchen sie bereits heute etwa 3/4 aller Ressourcen. Sie hinterlassen Milliarden Tonnen Müll und sind für rund 70 % der weltweiten CO2 Emissionen verantwortlich.
Städte spielen insbesondere im Klimaschutz eine wichtige Rolle. Mit ihrer lokalen Innovationsfähigkeit haben Städte einen wesentlichen Einfluss auf den weltweiten Klimawandel. Klimaschutz funktioniert jedoch nur mit der Wirtschaft vor Ort. Der resultierende Forschungsbedarf ist groß. Unter anderem stehen folgende Fragen im Vordergrund:
Wie lassen sich Großstädte künftig mit Energie, Trinkwasser und Nahrung versorgen? Wie können wir mobil bleiben? Wie sicher werden die Städte sein? Wie werden wir dort leben und arbeiten?
Dabei geht es nicht nur um Megastädte, sondern genauso um unsere bestehenden Städte, Gemeinden und Regionen in Deutschland und Europa, die vor einem tiefgreifenden Wandel stehen. Um die dargestellten Fragen zu beantworten und mit Best-Practice-Beispielen der nachhaltigen Stadtentwicklung zu belegen, existieren drei große Städtenetzwerke:
- C40-Städtenetzwerk
C40 ist ein Netzwerk aus den 40 größten Städten der Welt. Das 2005 gegründete Netzwerk setzt auf die Kooperation großer Städte zur Reduktion der CO2-Emissionen. Dem Netzwerk gehören auch kleinere Städte an, die Vorreiter im Klimaschutz sind. In Deutschland sind Berlin und Heidelberg Mitglieder des C40.
- ICLEI – Local Governments for Sustainability ICLEI ist ein weltweiter Verband von über 1.000 Städten und Gemeinden, die sich der nachhaltigen Entwicklung verpflichtet haben. Das besondere an ICLEI ist sein Engagement auf den unterschiedlichsten Ebenen. Auf der globalen Bühne vertritt der Verband die Kommunen auf UN-Konferenzen und in internationalen Gremien. Zudem engagiert sich ICLEI vor Ort und begleitet Kommunen auf Ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Das ICLEI-Europasekretariat in Freiburg fördert kommunale Nachhaltigkeit mit Beratungsangeboten.
- Städtenetzwerk Energy Cities
Energy Cities ist der Zusammenschluss europäischer Gemeinden, die sich eine langfristige lokale Energiepolitik zum Ziel gesetzt haben. Seit 25 Jahren repräsentieren etwa 200 Mitglieder über 1.000 Städte. Die Stadt Heidelberg hat seit dem Jahr 2015 die Präsidentschaft des Netzwerks inne.
UN-Klimakonferenz in Paris (COP 21)
Im Rahmen der derzeitigen
UN-Klimakonferenz in Paris wurden 10 Megastädte für ihre exzellenten Leistungen in nachhaltiger Stadtentwicklung prämiert. Die Gewinner in den zehn Kategorien sind:
- Boston (Intelligente Städte & Intelligente Gemeinschaften)
- Johannesburg (Finanz- & Wirtschaftsentwicklung)
- Kapstadt (Umsetzung von Anpassungsfähigkeit)
- Nanjing (Transport)
- New York City (Energieeffizienz von Gebäuden)
- Rotterdam (Planung und Bewertung von Anpassungsfähigkeit)
- Stockholm (Nachhaltige Gemeinden)
- Vancouver (CO2-Messung und -Planung)
- Washington D.C. (Grüne Energie)
- Wuhan (Abfallmanagement)
Was kennzeichnet eine
nachhaltige Stadtentwicklung vor dem Hintergrund des Klimawandels? Welche Konzepte können als Vorbilder und Beispiele für andere Städte herangezogen werden? Wir stellen Ihnen die innovativen Projekte vor:
Boston – The Hub of the Universe
Die Metropole ist maßgeblich durch Cluster aus renommierter Forschung (Harvard, MIT) und Medizin-Unternehmen geprägt. Nicht umsonst zählt Boston schon lange zu den innovativsten Städten der Welt (
Innovation Cities Index 2014: Platz 4). Ein Musterprojekt für nachhaltige Stadtplanung ist
Greenovate Boston. Das Projekt stellt seit dem Jahr 2010 eine kollektive Bewegung aus Wirtschaft, Forschung, Politik und vor allem den Einwohnern Bostons dar. Gemeinsam fördert man das städtische Bewusstsein für Klimaschutz.
Die zentrale Frage lautet
„How much can one person do?“ Greenovate Boston ist deshalb als Informations- und Kommunikationsplattform für Bürger konzipiert. In der Community werden konkrete Aktionen wie Recycling, Kompostierung, Energieeffizienz oder alternative Verkehrsmittel vorgestellt und gemeinsam weiterentwickelt. Musterhafte Veranstaltungen wie die „30-Day-Carbon Challenge“ sind als richtungsweisende Bürgerbeteiligung zum Klimaschutz anzusehen, um die hochgesteckten Ziele der CO2 Reduzierung zu erreichen.
Johannesburg – City of Light
Johannesburg ist die bevölkerungsreichste Stadt Südafrikas und eines der
50 Weltfinanzzentren. Die Platzierung der ersten Grünen Anleihe (Green Bond) innerhalb der C40-Städte scheint daher eine logische Konsequenz. Die 1,46 Milliarden Rand bzw. 90 Millionen Euro Anleihe ist seit 2014 an der Johannesburger Börse gelistet. 2014 war im Übrigen das Rekordjahr für den noch jungen Green Bond Markt. So wurden weltweit
$35 Milliarden Dollar an Grünen Anleihen am Kapitalmarkt aufgenommen. Die Stadt Johannesburg nutzt das Fremdkapital zur Investition in das städtische Abfallmanagement, Maßnahmen zur Wasseraufbereitung und zur Verbesserung der Infrastruktur. Green Bonds werden langsam erwachsen…
Kapstadt – Mother City
Nochmal Südafrika. Nochmal Wasseraufbereitung. Das ehrgeizige Programm aus Südafrikas zweitgrößter Stadt lautet „Water Conservation and and Demand Management (WCWDM)“. Ziel des Programms ist es, ausreichend Trinkwasser für die rasant wachsende Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Kapstadt fördert mit dem Projekt infrastrukturelle Maßnahmen, wie den Austausch von Rohren und ein intelligentes Versorgungssystem. Aufgrund des umfangreichen Projekts zur Wasseraufbereitung spart Kapstadt zudem jährlich rund 58.000 Tonnen CO2 ein und konnte neue Arbeitsplätze schaffen.
Nanjing – City of Emperors
Wechsel nach China. Genauer gesagt nach Ostchina. Die Metropole Nanjing ist mit rund 8 Mio. Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Region. Nach Shanghai nimmt Nanjing eine Schlüsselrolle als Industriestandort ein. Auch transnationale Unternehmen wie VW, BASF und Bosch sind bereits in der Metropolregion ansässig. Das Musterprojekt“Nanjing New Energy Vehicle Promotion“ entstand im Rahmen der jüngst vom IOC eingeführten Olympischen Jugend-Sommerspiele.
Sie interessieren sich für Elektromobilität? Dann blicken Sie nicht nach Europa, sondern gen Osten: In Nanjing entstand in kürzester Zeit die weltweit zweitgrößte Flotte an Elektrofahrzeugen. Im Zuge der Spiele stationierte man in der Stadt sagenhafte
3.835 Fahrzeuge mit Elektroantrieb, 1.200 Aufladestationen sowie 3 Batteriewechsel-Stationen. Neben der verbesserten Mobilität konnte Nanjing rund 246.000 Tonnen CO2 einsparen und die Luftqualität für die Bewohner der Metropole optimieren.
New York City – The Center of the Universe
New York, New York. Keine Stadt besitzt mehr Superlative und Symbolstatus als New York City, die bevölkerungsreichste Stadt der Vereinigten Staaten. Wer denkt bei Immobilien nicht automatisch an New York? Wir denken an Gebäude wie das Empire State Building, Chrysler Building oder an 40 Wall Street und das One World Trade Center. In New York City sind Immobilien jedoch auch für rund 3/4 der städtischen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Daher muss New York lernen nachhaltig zu bauen. Nichts anderes stellt das neue Projekt „
One City: Built to Last“ dar.
Die Mission sieht eine Reduzierung der städtischen Emissionen um 80 % bis zum Jahr 2050 vor („80 by 50“). Green Building lautet dabei das Stichwort. Jedoch versteht die Stadt darunter mehr als ein Modewort im Sinne von LEED-Zertifizierung und daran gekoppeltes Marketing. New York City steht im Zeichen der Nachhaltigkeit. Hierzu erscheint demnächst auf Gewerbe-Quadrat.de der Beitrag
NYC – Gelebte Nachhaltigkeit
Rotterdam – Stronger through struggle
Endlich Europa. Leider Holland. Auch aus deutscher Sicht muss man die ambitionierten Nachhaltigkeitsziele Rotterdams anerkennen. Dabei steht nicht der Klimaschutz im engen Sinne, also die Reduzierung von Emissionen im Vordergrund. Vielmehr beschäftigt man sich mit möglichen Auswirkungen, indem Risiken identifiziert und bewertet werden. In einem anschließenden Maßnahmenkatalog definiert man Strategien, um vor allem den
Hafen Rotterdam nachhaltig zu sichern. Diese Maßnahmen sollen somit die Resilienz gegenüber dem Klimawandel erhöhen.
Rotterdam ist zudem ein wahrer Vorreiter in nachhaltiger Stadtentwicklung. Zu den bereits umgesetzten Gebäuden zählt beispielsweise
De Rotterdam mit einer beeindruckenden Geschossfläche von 160.000 m² auf lediglich 5.500 m² Grundfläche und Besonderheiten wie einem GreenCalc+ A Label. Doch Rotterdam ist auch ein wahrer Innovationspool. Zu einen der innovativsten Projekte aus Rotterdam zählt der Plan
Straßen aus Plastikmüll zu bauen.
Stockholm – The Capital of Scandinavia
Das Thema Wasser scheint in vielerlei Hinsicht mit Stadtentwicklung verknüpft so sein. So auch in Stockholm. Das neue Stadtquartier in Stockholm lautet „
Stockholm Royal Seaport“ und befindet sich seit 2011 an einem ehemaligen Industriestandort im Bau. 40 Projektentwickler arbeiten auf einer Fläche von 236 Hektar an insgesamt 12.000 Wohnungen und 35.000 Büroarbeitsplätzen. Alle Häuser müssen den Energiestandards von Passivhäusern entsprechen, sodass der Energieverbrauch bei 55 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr liegen soll.
Außerdem soll der gesamte Stadtteil bis 2030 komplett unabhängig von fossilen Brennstoffen sein und die CO2-Emissionen bis 2020 auf 1,5 Tonnen pro Bewohner zu begrenzen. Im Zuge der ambitionierten Ziele erhalten Projektentwickler eine Software, mit der man den ökologischen Fußabdruck aller Baumaterialien über die ganze Lebenszeit errechnen kann.
Vancouver – Saltwater City
Vancouver ist nicht nur für die Planung der Olmypischen Winterspiele bekannt. Auch bei der Planung von Zielen zum Klimaschutz zeigt man sich hoch ambitioniert. Mit dem „Greenest City 2020 Action Plan“ möchte man zur grünsten Stadt der Welt werden. Ein umfassender
10-Punkte-Plan soll als ökologisches Vorzeigemodell für urbanes Leben gelten. Der Plan deckt dabei die Bereiche Zero Carbon und Zero Waste ab. So sollen z. B. ab dem Jahr 2020 gebaute Häuser allesamt CO2-neutral errichtet werden. Vancouver hat einen Masterplan entworfen, der sich letztlich auch wirtschaftlich nachhaltig positiv auswirken wird. Ein Plan für die Städte der Zukunft?
Washington D.C. – A Capital City
Eigentlich müsste Washington nun als Windy City anstelle von Chicago bezeichnet werden. Warum? Weil die Hauptstadt einen kompletten Windpark bestehend aus 23 Turbinen mit einer Gesamtleistung von 46 Megawatt in Pennsylvania erworben hat. Der Vertrag stellt das größte amerikanische Wind Power Purchase Agreement (PPA) dar. Durch diese Investition kann die Stadt rund 35 % des heutigen Energiebedarf durch erneuerbare Energien decken.
Wuhan – Different every day
Von 52 Hektar Mülldeponie zu Gartenpark? Das kann man chinesischen Städten durchaus zutrauen. In Wuhan, der mit rund 10 Mio. Einwohnern bevölkerungsreichsten Stadt Zentralchinas, fand eine solche Projektentwicklung statt. Wuhan ist im Vergleich zu vielen anderen chinesischen Metropolen eine große Gartenstadt mit rund 5.800 Hektar an Grünflächen. Außerdem befindet sich in Wuhan mit dem East Lake der größte innerstädtische See Chinas. Im Sinne einer Förderung des Angebots an städtischer Lebensqualität wurde die nicht mehr nutzbare
Jinkou Mülldeponie zu einer grünen Oase umgewandelt. Urban Gardening kann man wohl auch großflächig und an ungewöhnlichen Standorten betreiben. Letztlich können Gärten das Klima und die Energiebilanz von Städten verbessern.
Für die Zukunft wird in dicht bebauten Megastädten ein ökologischer Ausgleich notwendig werden, es sei denn man ignoriert den Klimawandel. Aber allein subjektiv führt ein üppiges Grün zu einer höheren Wohnzufriedenheit und damit zu einer lebenswerten Stadt. Oder etwa nicht? Wie sehen Sie die Zukunft nachhaltiger Stadtentwicklung?
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Wir brauchen noch viel mehr Beiträge dieser Art. Insbesondere Deutschland befindet sich noch im Innovations-Tiefschlaf. Länder wie USA aber auch China werden hierzulande immer noch pauschal in die Ecke der bösen Verschmutzer gestellt. Die sich bereits vollziehende Trendwende in diesen Ländern wird in Deutschland offensichtlich wenn überhaupt nur widerwillig zur Kenntnis genommen. Wir können entweder weiterhin in unserer scheinbaren Komforzone verweilen oder endlich aufwachen und erkennen, dass in der Zukunft tatsächlich noch komfortablere Zonen auf uns warten. Die Natur und innovative Gesellschaften werden ganz sicher nicht auf uns warten!